Wie kommt ein weibliches Eichhörnchen zu diesem Namen? Haben Eichhörnchen überhaupt Namen? Balkonhörnchen haben sicher viele. Schließlich ist man ja auf unterschiedlichsten Häusern mit verschiedensten Balkonen unterwegs und wird, zumindest "bemerkt". Ganz ehrlich, es soll diese Menschen geben, die sauer sind, dass ihre Pflanzen ausgebuddelt werden wenn Futter versteckt werden muss, aber hat sie schon mal jemand getroffen? Die meisten Menschen mögen doch die roten Kobolde.
Auf unserem Balkon und Hinterhof war sie für uns „Einstein“. Und zwar, weil sie sehr schnell verstanden hatte, wie sich die Nüsse aus dem extra für sie aufgestellten Futterhäuschen befreien lassen. Das zweite Eichhörnchen, das unseren Balkon besucht, Mini genannt, hatte dafür wesentlich mehr Zeit gebraucht. Krähen und Eichelhäher sind bisher gescheitert. Ein Fakt, den ich sehr liebe, wo wir doch alle wissen, wie schlau Krähen sind. Aber zu mehr als wütendem Picken mit dem Schnabel gegen das (Plexi-)Glas hat es bisher nicht gereicht :-).
Aber zurück zu unserer Geschichte. Dass sie ein weibliches Eichhörnchen war, wussten wir damals noch nicht. Oder rückblickend eigentlich schon. Denn wahrscheinlich kannten wir uns schon über vier Jahre. Ein mutiges Eichhörnchen mit relativ dunklem Fell besuchte 2019 und 2020 immer wieder unseren Balkon, buddelte unsere Balkonpflanzen aus und platzierte Nüsse und Eicheln. Natürlich stellten wir dann auch ein paar Nüsse und eine Schale mit Wasser raus. Einmal saß ich lesend auf der Bank als sie mit deutlich sichtbaren Zitzen kam und knapp zwei Meter von mir entfernt sehr selbstbewusst Haselnüsse verspeiste. Die Folge: Große Liebe und die Installation einer Kamera auf dem Balkon für mehr Eichhörnchen-TV.
Dann kamen Jahre mit Bauarbeiten, die den Balkon in ein Gerüst hüllten. Wir waren kaum draußen, das Eichhörnchen erblickte ich nur ganz selten und wenn, dann war es auf der Durchreise.
Im März diesen Jahres tauchte sie wieder öfter auf und langsam schlossen wir Freundschaft. Ich stellte Leckereien raus und sie nahm sich die Zeit, diese in meiner Gegenwart zu verspeisen. Unsere auf den Balkon herausgestellten Nüsse und Früchte wurden allerdings nicht nur von Eichhörnchen sondern auch gern von Krähen und Eichelhähern genommen. Ich mag beide Vogelarten, aber sie finden sicher auch ohne uns genug Futter.
Über den Umweg eines normalen Vogelhäuschens brachten wir Mitte April einen Squirrel Feeder auf der Balkonbalustrade an. Wie schon gesagt, wurde dieser sehr schnell akzeptiert. Sie verbrachte nun mehr Zeit bei uns, nicht nur um zu trinken oder zu fressen. Und sie liebte Walnüsse. Haselnüsse und alles andere, was das erste gekaufte Eichhörnchenfutter bereithielt, waren ok, aber Walnüsse waren ihre Lieblingsspeise. Da es sie nicht störte, dass die Balkontüre dabei offen stand und auch der Soundteppich von Waschmaschine, Radio oder Kaffeemaschine sie nicht verscheuchte, kam ich auf die Idee, im Futterhaus nur noch ganze „verpackte“ Walnüsse zu lagern und die leckeren Kerne aus der Hand anzubieten. Es folgten für mich sehr aufregende Tage, an denen ich vorsichtig meine Hand in Richtung Tisch hielt, zunächst nur auf eine dort liegende Nuss zeigend. Und das Eichhörnchen kämpfte mit sich. Von allen Seiten beäugte sie die Lage während ich auf sie einredete. Dann traute sie sich schließlich, die Nuss zu nehmen, auf die ich zeigte, und am nächsten Tag nahm sie mir ganz vorsichtig die erste Nuss aus den Fingern.
Der Bann war gebrochen, unsere Zweckbeziehung war geboren: Sie konnte die leckeren Kerne schlemmen und ich sie dabei beobachten und fotografieren. Obwohl sie sich Nüsse aus dem Feeder holen konnte, wartete sie oft auf einer Stuhllehne oder auf dem Tisch, dass ich kommen und Nüsse rausreichen sollte. Eine Klingel wäre gut gewesen, die hätte sie gern betätigt. Unsere Kamera sendete mir Benachrichtigungen, aber man ist ja nicht immer vor Ort.
Ich werde nie vergessen, wie sanft sie dabei immer war, wie vorsichtig sie die Nüsse abnahm. Wirken Eichhörnchen doch oft so hibbelig und ungestüm. Alle ihre Aktionen waren immer sehr sanft. Manchmal nahm sie die Nuss und setzte sich auf die Balustrade zum Fressen, manchmal blieb sie auf dem Tisch, später oft ganz nah bei mir sitzen. Eine Weile lang dachte ich, das hinge von der Stimmung ab. Aber es lag wohl meist daran, ob das Stück Nuss groß genug war, den Weg quer über den Balkon zu rechtfertigen. Bei kleineren Stücken blieb sie also meist näher bei mir sitzen. Gut zu wissen, wenn man Fotos machen möchte.
So hatten wir intensive zwei Monate, trafen uns zum Teil zweimal täglich auf dem Balkon. Dabei kam sie nicht mehr nur zum Fressen, sie lag auch ab und an in den Blumen oder über dem Geländer, schaute einfach gechillt in die Gegend. Jeder Tag war anders: Mal hatte sie Spinnweben und allerhand Zeug im Fell, dann ein paar Tage eine Beule über dem Auge. Es gab Tage an denen sie Stress hatte, schnell und sehr vorsichtig war, dann wieder andere an denen sie viel Zeit mitbrachte und ganz ruhig trank und fraß und döste. Eines Tages im Regen war ich wohl nicht schnell genug und sie angelte spontan mit ihrer Pfote nach meiner Hand. Ich war so überrascht, wie fein und dünn und filigran sich die Krallen anfühlen, wie sanft sie damit umgeht, dass ich die Nuss vor Schreck fallen lies.
Ach ja, schnell sah ich, dass sie Frau Einstein war, als die ersten Zitzen sichtbar wurden. Ich konnte beobachten, wie sie in einen Kobel unterm Dach zog, aber nicht, wie und wann sie dort wieder auszog. Sie war wieder dünner, hatte aber fortan immer deutlich sichtbare Zitzen. Ende Juni jedenfalls waren diese sehr geschunden, sie war aber auch wieder deutlich dicker geworden, so dass wir nicht sicher waren, ob nicht eine erneute Schwangerschaft vorlag. Der Appetit war jedenfalls riesig, andere Anzeichen gab es auch.
Ende Juni fuhren wir in den Urlaub. Am letzten Tag vor der Abfahrt erläuterte ich ihr die Umstände ganz genau, der Abschied fiel mir schwer. Wir hatten natürlich dafür gesorgt, dass Futter und Wasser auch in unserer Abwesenheit vorhanden sein würden. Es war der letzte Tag an dem wir uns sehen würden. Auf der Kamera tauchte fortan einzig Mini auf, der nach und nach „ihren“ Balkon zu seinem zu machen schien. Ich hoffte zunächst, die anstehende Geburt würde ihre Abwesenheit erklären. Leider war dem nicht so. Meine besorgte Recherche nach unserer Ankunft zuhause ergab, dass nicht nur ein totes Eichhörnchen sondern auch ein totes Baby gefunden worden waren.
Mittlerweile über einen Monat später kann ich wieder auf den Balkon gehen, ohne dass es das Herz fast zerreißt und ich sitze an diesem Text. Die Idee, alles vom Balkon abzubauen, was mit Eichhörnchen zu tun hat, habe ich wieder verworfen. Mini, der wahrscheinlich auch ein Sohn von Einstein ist, kommt momentan alle zwei, drei Tage vorbei und holt sich ein paar Nüsse. Er ist sehr scheu. Wenn ich ihn überhaupt fotografieren darf, dann nur durch die Scheibe. Ich denke, er wohnt nicht hier im Hinterhof, denn der gehörte Einstein, aber ich hoffe sehr, dass sich ein anderes Eichhörnchen in unseren schönen grünen Hof verliebt.
Soweit zu „unserer“ Geschichte.
Diese nahen Begegnungen mit einem wilden Tier haben in mir ein anderes Bewusstsein für ihre Lebensweise und Existenz erweckt. Eichhörnchen sind nicht nur vergesslich, süß oder hibbelig. Sie haben Gewohnheiten, Pflichten und Vorlieben. Im Kontakt mit uns Menschen machen sie die Regeln. Man kann sie nicht umsorgen wie Haustiere, man muss sie ziehen lassen, auch wenn man sich Sorgen macht. Aber man kann und sollte sie unterstützen. Wie das gehen kann, versuche ich in den Eichhörnchen-Infos aufzuzeigen.
August 2024